Empathiefähigkeit, empathische Führung, empathische Kommunikation – immer häufiger begegnet mir dieser Begriff. Oft in einem Nebensatz. Es wird betont, wie wichtig es ist einfühlsam, respektvoll und wertschätzend gegenüber anderen zu sein.
In Bezug auf sich selber begegnet mir häufiger der Begriff Selbstfürsorge. Oft in einem Kontext von „sich etwas Gutes tun“, „sich mal rausnehmen aus allem“.
Dieses Bild möchte ich zurechtrücken. Denn ich durfte vergangenes Wochenende nicht nur viel über Empathie lernen sondern sie erleben: Empathie ist kein Softskill und auch kein „must-do“. Es ist viel mehr!
Der Weg zur Wurzel
Schauen wir zuerst auf den Begriff selbst: Em-pathie das seinen Ursprung im griechischen „empatheia“ hat. „Em“ – sich hineinbegeben. „patheia“ – Leiden, Unglück, Leidenschaft. Ebenfalls die Vorsilbe die „path-“ – die Wurzel. Es handelt sich also um etwas sehr „tiefes“. Sehr viel ursprünglicheres als bloßer „Respekt“ oder „Wertschätzung“ dem anderen gegenüber. Und weit mehr als „für sich selber zu sorgen“ in Form eines Abends im Spa oder ähnliches. Meine persönliche Definition von Empathie lautet deshalb: Empathie ist der Weg zur Wurzel.
- Empathie steht weit über den Sachthemen und sieht den anderen als Menschen – ohne jeden Vorbehalt.
- Empathie öffnet einen Raum für mein Gegenüber sich zu öffnen.
- Empathie ist keine Methode sondern hat mit tiefer Beziehung und Haltung zu tun.
- Empathie gegenüber anderen (Fremdempathie) braucht zuerst Empathie gegenüber sich selber (Selbstempathie).
- Empathie braucht Aufrichtigkeit – sich selbst gegenüber.
- Empathie in diesem Sinne ist deshalb genau das, was es meiner Meinung auf allen Ebenen sehr dringend braucht, vor allem im Businesskontext
Wie „geht“ nun Selbstempathie?
Ein Beispiel: Ich bin sehr wütend über das ungerechte, undankbare, und überhaupt so grundsätzlich unmögliche Verhalten eines Mitarbeiters. So wütend, dass es mir fast nicht möglich ist mit dieser Person in Kontakt zu sein. Es kostet mich unheimlich viel Energie einigermaßen mit dieser Person zurecht zu kommen und „professionell“ zu sein. Die Konflikte kochen an verschiedener Stelle hoch.
Rational ist mir bewusst, dass der andere aus einer bestimmten Intention heraus handelt – aus seiner Sicht vollkommen nachvollziehbar. Und trotzdem geht mir der Puls bei diesem Verhalten so richtig hoch.
Wann bin ich nun selbstempathisch? Wenn ich bereit bin, ehrlich hinter meine Wut zu schauen. Wenn ich bereit bin all meine Erwartungen und meine Urteile über das Verhalten dieser Person (oder sogar über die Person selber) beiseite zu legen. Denn meine Wut, mein Ärger – genauso wie Schuld und Scham – gehören zu den Sekundärgefühlen. Sie schieben die Verantwortung weg von mir und schützen ein wichtiges Bedürfnis, das lange nicht erfüllt wurde.
Wenn ich nun bei meinem Ärger über diesen „unmöglichen Mitarbeiter“ dahinter schaue, welche Gefühle spüre ich dann? Nicht im Kopf, sondern im Bauch? Ich bin vielleicht tief verletzt, weil meine Anstrengung mein Bemühen um eine gute Beziehung so gar nicht nicht fruchtet. Ich bin traurig, weil es nicht anders zu gehen scheint als eben so. Und das gar nicht meinem Anspruch an ein gutes Miteinander entspricht. Und welches Bedürfnis steht hinter diesen Gefühlen? Vielleicht diese hier, die ich aus vielen verschiedenen Kontexten kenne: Ich möchte dazugehören, ich möchte Anerkennung erfahren. Passen diese Bedürfnisse zu dem, was wir mit „Führungsstärke“ verbinden?
Und dann „geht“ auch Fremdempathie!
Es ist ein anstrengender Weg aufrichtig hinter meinen Ärger, meine Wut zu schauen. Denn dann bin ich nicht mehr bei einem „er sollte doch“ oder „ich schaffe es einfach nicht…“. Dann kommen plötzlich sehr tief in mir angelegten Gefühle. Die ich in all meiner Reflektiertheit und Professionalität nicht sehen wollte oder konnte. Weil, das sollte ich mir doch gar nicht so zu Herzen nehmen. Doch! Genau das. Denn dann passiert etwas wunderbares, das ich in Anlehnung an Hartmut Rosa „Resonanzraum“ nenne: Eine unbekannte Dimension an Beziehung. Es öffnet sich der Resonanzraum der Empathie. Und darin zeigt sich echte (Führungs-)Stärke.
Von der Kommunikation zur Resonanz
Ich sehe den anderen und mich selber in all unserer menschlichen „Bedürftigkeit“. Ich kann dem anderen mit aufrichtigem Wohlwollen begegnen. Eigene und fremde Gefühle in ihrer Wurzel begreifen – ohne zu bewerten oder zu urteilen. Eigene und fremde Bedürfnisse erkennen und neu dafür Sorge tragen, dass sie erfüllt werden. Ärger, Wut und all das löst sich einfach auf.
Dann schafft Empathie einen unglaublichen menschlichen Resonanzraum und eine echte Beziehungstiefe.
Klingt verrückt? Ja, wenn ich das so schreibe denke ich das auch. Wenn ich nicht genau das selbst erlebt hätte…